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Kommu­ni­ka­tions-Skills für die Video­sprech­stunde: So stärken Sie Vertrauen im digitalen Arzt-Patienten-Gespräch

Zahl­reiche Studien belegen, dass eine vertrau­ens­volle Arzt-Patienten-Beziehung maßgeb­lich zum Behand­lungs­er­folg beiträgt. Mit dem stei­genden Anteil an Video­sprech­stunden droht die Nähe zum Patienten jedoch weiter abzu­nehmen. Wie kann es gelingen, auch in der digitalen Arzt-Patienten-Kommu­ni­ka­tion ein Vertrau­ens­ver­hältnis herzu­stellen und zu erhalten? In einem Interview erklärt unser Geschäfts­führer und Kommu­ni­ka­ti­ons­experte, Stephan Kock, worauf Ärztinnen und Ärzte in der Onlinesprech­stunde achten sollten.

Welche Rolle spielt das Vertrauen in einer Arzt-Patienten-Beziehung?

Stephan Kock: Vertrauen ist sehr wichtig. Ohne medi­zi­ni­sche Kennt­nisse können Patienten die Kompetenz ihrer ärzt­li­chen Fachkraft kaum einschätzen. Diese Unsi­cher­heit wird durch ein vertrau­ens­volles Verhältnis kompen­siert. Ist die Arzt-Patienten-Beziehung von Vertrauen geprägt, halten sich Patienten viel häufiger an die Empfeh­lungen ihrer Ärztin bzw. ihres Arztes und zeigen größere Thera­pie­treue.

Das Pati­en­ten­ver­trauen gewinnt man weniger mit Auszeich­nungen oder Zusatz­qua­li­fi­ka­tionen. Der eigent­liche vertrau­ens­för­dernde Faktor ist das Arzt-Patienten-Gespräch. Wenn Behand­le­rinnen und Behandler einfühlsam sind und die Gesprächs­füh­rung stimmt, dann schreiben die Pati­en­tinnen und Patienten ihnen auto­ma­tisch fachliche Kompetenz zu.

Verändert sich mit der Nutzung von Video­sprech­stunden das Vertrau­ens­ver­hältnis zwischen Arzt und Patient?

Stephan Kock: Das kann gut sein. Sollte eine Ärztin oder ein Arzt in der Pati­en­ten­kom­mu­ni­ka­tion ohnehin nicht besonders stark sein, könnte die Video­sprech­stunde dazu führen, dass die behan­delnde Person noch distan­zierter wirkt. Wenn aber Kompe­tenzen in der Gesprächs­füh­rung aufgebaut werden, bin ich mir sicher, dass die Menschen merken, dass das Vertrauen berech­tig­ter­weise auch in der Video­sprech­stunde gefördert und gestützt werden kann.

Welche positiven Aspekte und welche Fall­stricke sehen Sie in der digitalen Sprech­stunde?

Stephan Kock: Positive Aspekte sehe ich vor allem in orga­ni­sa­to­ri­schen Belangen, wie zum Beispiel dem Ausstellen von Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen. Diese sind schnell und unmit­telbar spürbar und können sowohl Patienten als auch die Praxis entlasten. Größere Heraus­for­de­rungen sehe ich in der Verbind­lich­keit einer Arzt-Patienten-Beziehung:
Stellen Sie sich vor, ich würde als Arzt eine Video­sprech­stunde verpassen, weil ein anderer Krank­heits­fall reinkommt oder ein Notfall besteht. Die Gesprächs­part­nerin bzw. der Gesprächs­partner am anderen Ende der Leitung müsste dann warten, obwohl etwas anderes bespro­chen worden ist. Das könnte dazu führen, dass Patienten das Vertrauen in die Gesamt­si­tua­tion der digitalen Kommu­ni­ka­tion verlieren. Hierbei muss sicher­ge­stellt werden, dass das, was vorab bespro­chen und termi­niert wurde, auch haarklein einge­halten wird.

Selbst im persön­li­chen Umgang erleben Pati­en­tinnen und Patienten häufig das, was mit ihnen im medi­zi­ni­schen Kontext passiert, als unver­bind­lich. Sie fühlen sich als anonymes Krank­heits­bild oder jemand, der schnell von A nach B geschoben wird. Das hinter­lässt selten ein Gefühl von Vertrauen und führt dazu, dass auch die Verbind­lich­keit seitens der Patienten abnimmt. In der Folge werden beispiels­weise verschrie­bene Medi­ka­mente nicht einge­nommen. Das ist tatsäch­lich kein seltenes Problem und steht eindeutig mit dem Arzt-Patienten-Verhältnis im Zusam­men­hang.

So wie Pati­en­tinnen und Patienten Vertrauen in die Kompetenz ihrer Ärztinnen und Ärzte haben müssen, müssen auch diese darauf vertrauen können, dass die Behand­lungs­emp­feh­lungen und Einnah­me­ver­ord­nungen umgesetzt werden. Durch eine gute Gesprächs­füh­rung wird der Patient einge­laden, sich selbst als vertrau­ens­wür­dige Person zu verhalten. Die entspre­chenden Gesprächs­tech­niken gilt es, gerade für die Kommu­ni­ka­tion im digitalen Raum, in der die unmit­tel­bare mensch­liche Nähe fehlt, zu erlernen.

Welche Gesprächs­tech­niken eignen sich, um in Video­sprech­stunden Vertrauen herzu­stellen?

Stephan Kock: Zual­ler­erst würde ich empfehlen, das Bera­tungs­ge­spräch an sich zu üben. Regel­mäßig führe ich Workshops mit dem Titel „Wer führt, der fragt!“ durch. Die Headline weist darauf hin, dass Pati­en­tinnen und Patienten viel mehr befragt werden sollten.
Ich höre dann häufig, das gehe nicht in drei­ein­halb Minuten (was der durch­schnitt­li­chen Länge eines Arzt-Patienten-Gesprächs entspricht). Das stimmt nur bedingt. Man kann Fragen stellen, die ein Zeit­fenster mitgeben. In der Video­sprech­stunde könnte man wie folgt agieren: „Frau Meier, wir sehen uns heute per Video. Ich freue mich total, dass Sie dieses neue Medium für sich in Anspruch nehmen. Was sind Ihre drei wich­tigsten Fragen, die wir in den nächsten zehn Minuten bespre­chen müssen?“ Dadurch halten sich die Pati­en­tinnen und Patienten kurz, da sie auch ein Zeit­emp­finden haben.

Fragen sind wichtig, um die Bedürf­nisse des Patienten genau eruieren zu können. Deshalb könnte man auch folgenden Einstieg in die Video­sprech­stunde wählen: „Guten Tag, Herr Müller. Schön, dass wir heute per Video zusam­men­kommen. Ich habe für mich gelernt, dass es gut ist, am Anfang zu fragen: Wie müssen wir unser Gespräch aufbauen, damit Sie am Ende ein gutes Gefühl haben?“ Häufig wird mir bei diesem Beispiel entge­gen­ge­bracht, dass die Patienten dann viel reden würden, und das kann stimmen. Die Kunst ist, zwischen offenen und geschlos­senen Fragen zu unter­scheiden. Das Wissen um die verschie­denen Frage­tech­niken wäre für viele Ärztinnen und Ärzte ein hilf­rei­cher Anfang für eine gezielte Gesprächs­füh­rung im digitalen Raum.

Eine weitere Methode ist das soge­nannte aktive Zuhören. Dazu gehört beispiels­weise, dass das vom Patienten Gesagte zusam­men­ge­fasst wird: „Bei mir ist… ange­kommen. Habe ich Sie richtig verstanden?“ Dann kann die Patientin bzw. der Patient sagen: „Nein, das habe ich nicht so gemeint. Ich habe das soundso gemeint.“

Ich habe eine Zeit lang in der Tele­fon­seel­sorge gear­beitet. Da musste es mir gelingen, dass Menschen, die mich nicht kannten, am Telefon Vertrauen zu mir fassen. Das ist alles andere als einfach. In dieser Zeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass fragen, zuhören, refor­mu­lieren und das Gefühl zu vermit­teln, dass man sich für das Gegenüber und dessen Situation inter­es­siert und diese versucht zu verstehen, das A und O sind, um Vertrauen zu schaffen.

Wie kann die passende Gesprächs­füh­rung erlernt werden und welche Tipps können Sie für das digitale Pati­en­ten­ge­spräch geben?

Stephan Kock: Um aktives Zuhören zu erlernen, sind Denken, Fühlen und Handeln drei entschei­dende Faktoren. Sie können sich in Büchern belesen. Doch die meisten Menschen können von dem Gelesenen maximal fünf Prozent umsetzen. Beim Fühlen beobachte ich mein Gegenüber und versuche fest­zu­stellen, wie es mir selbst dabei geht. Durch das Nachahmen wird die Chance, etwas zu lernen und mitzu­nehmen, größer. Handeln heißt in diesem Zusam­men­hang, mithilfe einer Super­vi­sion etwas selbst auszu­pro­bieren. Ist ein Coach anwesend, kann dieser mitteilen, was bereits gut oder weniger gut war, und Verbes­se­rungs­vor­schläge bieten.

In der Video­sprech­stunde ist es für Ärztinnen und Ärzte noch wichtiger als in der persön­li­chen Sprech­stunde, Gesprächs­füh­rungs­kom­pe­tenzen zu haben. Denn man sollte bedenken, dass man mit den Augen nicht alles sieht. Im direkten Kontakt nehmen wir Körper­sprache und unaus­ge­spro­chene Stim­mungen wahr, die durch den Bild­schirm kaum trans­por­tiert werden können. Im Sprech­zimmer können wir Schmerz­punkte ertasten, den Patienten riechen und hören. Zwar kann man in der Video­sprech­stunde auch hören, doch die Qualität von Mikrofon und Laut­spre­cher kann dabei auch einschrän­kend sein. Unter Umständen hört man Schwie­rig­keiten, die nicht da sind, oder man hört Gutes, obwohl es nicht gut ist. In der persön­li­chen Sprech­stunde gibt es mehr Möglich­keiten, um besser zu verstehen, wie es meinem Gegenüber geht.

Da es in der Video­sprech­stunde kommu­ni­ka­tive Einschrän­kungen gibt, kommt den Fragen eine ganz große Bedeutung zu. In der digitalen Kommu­ni­ka­tion empfehlen sich vor allem offene Fragen, um die Pati­en­tinnen und Patienten zum Erzählen einzu­laden. Damit der Redefluss nicht ausufert, sollte vorher der zeitliche Rahmen geklärt werden.
Zudem ist es auch möglich, freund­lich zu unter­bre­chen. Damit dies nicht als Unhöf­lich­keit oder Vertrau­ens­ver­let­zung wahr­ge­nommen wird, könnte man am Anfang des Gesprächs sagen: „Es könnte sein, dass ich Sie manchmal unter­bre­chen muss, damit ich gut folgen kann. Ist das für Sie in Ordnung?“ Auf diese Frage habe ich noch nie ein „Nein“ gehört. Anschlie­ßend bedanke ich mich und nutze im Gespräch die Möglich­keit der Unter­bre­chung.

Wo sollten Ärztinnen und Ärzte bei der Entwick­lung einer Vertrau­ens­kultur in der Video­sprech­stunden ansetzen und wo sehen Sie Grenzen?

Stephan Kock: Ich setze immer voraus, dass es heute möglich ist, die tech­ni­schen Voraus­set­zungen zu erfüllen. Gute Über­tra­gungs­mög­lich­keiten müssen gegeben sein. Wenn in der Video­sprech­stunde plötzlich ein Standbild erscheint oder die Stimme nur abgehackt ankommt, ist die Kommu­ni­ka­tion von vorn­herein zum Scheitern verur­teilt.
Ange­nommen, die Technik funk­tio­niert, dann kommt der Gesprächs­füh­rung die nächst­größte Bedeutung zu. Je länger man die Gesprächs­füh­rung übt, desto besser wird man. Aber es setzt voraus, dass man die Unter­schiede zur persön­li­chen Sprech­stunde wahrnimmt und den Lern­be­darf erkennt.

Bezüglich der Grenzen ist es möglich, dass die Video­sprech­stunde seitens der Patienten als unver­bind­lich empfunden wird. Auch wenn die Gesprächs­füh­rung so gestaltet ist, dass die Patienten nicht wirklich profi­tieren können, gibt es Vertrau­ens­pro­bleme. Verbind­lich­keit auf beiden Seiten ist die große Heraus­for­de­rung, die es zu meistern gilt. Für mich gehört zum Shared Decision-Making, also der parti­zi­pa­tiven Entschei­dungs­fin­dung zwischen Arzt und Patient, dass sich beide Seiten an die gemein­same Verein­ba­rung halten. Wenn die Verbind­lich­keit nicht ausrei­chend vorhanden ist, dann ist eine Video­sprech­stunde ein schönes Konstrukt, aber nicht lang­fristig tragfähig. Ich glaube, dass wir die Video­sprech­stunde brauchen, aber es benötigt auf beiden Seiten des Computers Menschen, die gut damit umgehen können.

Wie sehen Sie die zukünf­tige Entwick­lung von Video­sprech­stunden?

Stephan Kock: Die Video­sprech­stunde wird sich weiter­ent­wi­ckeln. Aller­dings braucht es aus meiner Sicht noch mehr Fort- und Weiter­bil­dungs­an­ge­bote, damit Ärztinnen und Ärzte die Video­sprech­stunde für sich und aus der Perspek­tive der Pati­en­tinnen und Patienten sinnvoll nutzen können.

Das Vertrauen in das Instru­ment Video­sprech­stunde kann aus Pati­en­ten­per­spek­tive noch verbes­sert werden. Vor allem auch dadurch, dass es einer größeren Menge von Menschen und vor allem Älteren einfacher zugäng­lich gemacht wird. Ältere Menschen verfügen meist nicht über die nötige Tech­nik­kom­pe­tenz und benötigen Unter­stüt­zung. Viel­leicht braucht die Video­sprech­stunde noch Zeit, bis die Menschen älter und mit der Technik wie Digital Natives groß geworden sind. Im Moment sehe ich noch nicht, dass die Hand­hab­bar­keit für Menschen der älteren Gene­ra­tion ausrei­chend gewähr­leistet ist.

Wenn 2035 in Deutsch­land wirklich 11.000 Haus­ärz­tinnen und ‑ärzte fehlen sollten, kann ich mir auch vorstellen, dass viele Menschen die Video­sprech­stunde als Alter­na­tive zu gar keiner medi­zi­ni­schen Konsul­ta­tion nutzen werden. Dann hat es aber nichts mit Akzeptanz durch Über­zeu­gung zu tun, sondern eher mit dem Dilemma der Arzt­ver­füg­bar­keit. Ich würde mich freuen, wenn sich die digitale, medi­zi­ni­sche Kommu­ni­ka­tion gut entwi­ckelt und in 15 Jahren für jede und jeden mit den entspre­chenden Vorteilen nutzbar ist. Dies gilt für Ärztinnen und Ärzte sowie für Pati­en­tinnen und Patienten glei­cher­maßen.