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Kenn­zahlen für die Zahn­arzt­praxis: Ein Interview mit Michael Otto

Führungs­kräfte, Controller und Geschäfts­ent­wickler schwören auf den Einsatz von Kenn­zahlen im Unter­neh­mens­ma­nage­ment. Sie schaffen betriebs­wirt­schaft­liche Trans­pa­renz, ermög­li­chen den Vergleich mit „Best Practices“ der Mitbe­werber und helfen bei der Entschei­dungs­fin­dung. Wie auch Zahn­ärz­tinnen und Zahnärzte Kenn­zahlen in ihrer Praxis etablieren und für sich nutzen können, erklärt uns Michael Otto, Berater, Prokurist und Partner von Kock + Voeste.

Warum sollten sich Zahn­arzt­praxen mit betriebs­wirt­schaft­li­chen Kenn­zahlen beschäf­tigen?

Michael Otto: Auch wenn es primär um die Erbrin­gung medi­zi­ni­scher Leis­tungen geht, sollte man nicht vergessen, dass eine Zahn­arzt­praxis auch ein Unter­nehmen ist, welches sich im wirt­schaft­li­chen Umfeld befindet. Das bedeutet: Personal stellt Anspruch auf Gehalt. Mate­ria­lien, Räum­lich­keiten, Technik etc. müssen bezahlt werden. Und als Inhaberin bzw. Inhaber hat man auch seinen Lebens­un­ter­halt zu bestreiten.

Des Weiteren verändern sich Markt­be­din­gungen permanent. Besonders in der aktuellen Zeit steigen die Kosten enorm, sodass ein Igno­rieren dieser Umstände zu Liqui­di­täts­schwie­rig­keiten führen kann. Somit ist eine Ausein­an­der­set­zung mit den wirt­schaft­li­chen Rahmen­be­din­gungen aus meiner Sicht unab­dingbar.

Die Praxis­kenn­zahlen helfen Zahn­ärz­tinnen und Zahn­ärzten dabei, betriebs­wirt­schaft­liche Trans­pa­renz zu schaffen und risi­ko­be­haf­tete Entwick­lungen früh­zeitig zu erkennen. Wenn bestimmte Kenn­zahlen regel­mäßig erhoben und ausge­wertet werden, hat man einen Kompass für die Praxis­ent­wick­lung an der Hand, mit dessen Hilfe Maßnahmen zur Exis­tenz­si­che­rung oder zum Heben von Praxis­po­ten­zialen abge­leitet werden können.

Welche Kenn­zahlen sind für die Zahn­arzt­praxis am wich­tigsten?

Bei der Erhebung von betriebs­wirt­schaft­li­chen Kenn­zahlen können verschie­dene Perspek­tiven auf das Unter­nehmen „Zahn­arzt­praxis“ einge­nommen werden:

Die Heli­ko­pter­per­spek­tive:
Für einen schnellen Blick zur Gewinnung von Trans­pa­renz und Sicher­heit ist man mit der Betrach­tung von Umsatz, Kosten und Gewinn auf dem richtigen Weg.

Die Praxis­per­spek­tive:
Möchte man Stärken und Schwächen einer Praxis analy­sieren und gege­be­nen­falls Vergleiche zu anderen Praxen anstellen – soge­nanntes Bench­mar­king betreiben –, ist eine genauere Betrach­tung der Praxis­leis­tung nötig. Folgende Kenn­zahlen sollten dazu regel­mäßig doku­men­tiert werden:

  • Fall­zahlen im Quartal
  • Kassen­ho­norar je Patient
  • Privat­ho­norar je Patient
  • Zuzah­lungs­quote
  • Labor­quote
  • bei ange­stellten Zahnärztinnen/​Zahnärzten: Umsatz je Behandlerin/​Behandler

Die Detail­per­spek­tive:
Damit Umsatz­po­ten­ziale gehoben werden können, müssen Stell­schrauben zur Leis­tungs­stei­ge­rung iden­ti­fi­ziert werden. Das gelingt, indem eine Detail­per­spek­tive einge­nommen wird und die erhobenen Kenn­zahlen mit „Best-Practice-Zahn­arzt­praxen“ vergli­chen werden. Wo Skalie­rungs­po­ten­ziale schlum­mern, kann beispiels­weise an folgenden Kenn­zahlen abgelesen werden:

  • Umsatz je Stunde
  • Umsatz je Behand­lungs­ein­heit
  • Verhältnis Patienten/​ZFA
  • PZR-Auslas­tung
  • HKP-Abschluss­quoten
  • bei ange­stellten Zahnärztinnen/​Zahnärzten: Umsatz­zu­sam­men­set­zung der Behandlerin/​Behandler
  • Neupa­ti­en­ten­quote

Was können Zahn­ärz­tinnen und Zahnärzte aus diesen Kenn­zahlen ableiten?

Nehmen wir zum Beispiel das Verhältnis Patienten/​ZFA:
Wird der Ruf nach mehr Personal laut, lässt sich an Vergleichs­werten ablesen, ob in der Praxis ausrei­chend Kapa­zi­täten für eine gute Behand­lung vorliegen. Werden tatsäch­lich weitere Assis­tenzen benötigt oder liegt es eher an der Orga­ni­sa­tion? Diese Kennzahl kann bei der Entschei­dungs­fin­dung hilfreich sein.

Oder das Beispiel Zuzah­lungs­quote:
Die Kosten einer Zahn­arzt­praxis werden durch Kassen­ein­nahmen allein nicht mehr gedeckt. Selbst- und Zuzah­ler­leis­tungen sind deshalb elemen­tare Faktoren, die eine Praxis erst rentabel werden lassen.
In unseren Analysen sehen wir immer häufiger, dass sich Praxen im Umsatz positiv entwi­ckeln, jedoch in Konstel­la­tionen mit mehreren ange­stellten Zahn­ärz­tinnen und Zahn­ärzten zum Teil Fall­wert­schwan­kungen von bis zu 100 Euro pro Patient zwischen den einzelnen Behand­le­rinnen und Behand­lern bestehen.
Um tatsäch­lich Skalier­bar­keit zu schaffen, ist es aus unserer Sicht hilfreich, an einer Leis­tungs­ho­mo­ge­nität zu arbeiten. Alle Zahn­ärz­tinnen und Zahnärzte mit demselben Behand­lungs­spek­trum sollten sich auf ein möglichst einheit­lich hohes Niveau in der Zuzah­lungs­quote entwi­ckeln. Wirkungs­voll zeigen sich hierbei unsere Coachings zum Thema „Pati­en­ten­kom­mu­ni­ka­tion.“

Inter­es­sant sind auch die HKP-Quoten bzw. HKP-Abschluss­quoten:
Nicht selten erleben wir in unserer Praxis­beratung, dass für Patienten in einem Versor­gungs­fall zwei bis vier Kosten­vor­anschläge oder sogar HKPs erstellt werden. Als Begrün­dung wird häufig genannt, dass man dem Patienten verschie­dene Optionen aufzeigen und gut aufklären möchte.
Dies kann aus unserer Sicht auch erreicht werden, ohne die Kapa­zi­täten der ZMV derart zu bean­spru­chen. Denn final kann nur ein HKP umgesetzt werden und je nach Vorgang wird bis zu einer Stunde Arbeits­zeit bei der Mitar­bei­terin für einen HKP gebunden. Dies sorgt für schnelle Auslas­tung ohne entspre­chenden Umsatz.

Welche Orien­tie­rungs­werte gibt es für die Auswer­tung und Einord­nung der Praxis­kenn­zahlen?

Es gibt die klas­si­schen Fach­grup­pen­ver­gleiche, die man von der Steu­er­be­ra­tung oder der KZV bekommt. Diese können schon mal eine gute Orien­tie­rung bieten. Man sollte jedoch immer selbst reflek­tieren, inwiefern die eigene Praxis­struktur auch diesen Fach­grup­pen­bei­spielen entspricht.
Für eine wirklich präzise Vergleich­bar­keit haben wir bei Kock + Voeste über viele Jahre hinweg einen eigenen Datenpool aufgebaut. Von der Einzel­praxis bis zum Z‑MVZ mit mehreren Stand­orten haben wir darin verschie­dene Vergleichs­zahlen unter­schied­li­cher Praxis­größen und Praxis­struk­turen doku­men­tiert. Diese Zahlen findet man sonst leider nirgendwo.

Erst auf Grundlage einer solch detail­lierten Daten­basis ist es möglich, konkrete Aussagen über die Leis­tungs­stärke und Entwick­lungs­po­ten­ziale zu treffen. Abhängig von Behand­lungs­ein­heiten, Räum­lich­keiten, Perso­nal­struktur u. a. m. verglei­chen wir die Kenn­zahlen unserer Mandan­tinnen und Mandanten mit den Bench­marks der umsatz- bzw. gewinn­stärksten Praxen ähnlicher Größe und Struktur.

Für eine Mehr­be­hand­ler­praxis können zum Beispiel folgende Orien­tie­rungs­werte heran­ge­zogen werden:

Wie regel­mäßig sollten Praxis­kenn­zahlen überprüft werden?

Die Kenn­zahlen der Heli­ko­pter­per­spek­tive monatlich. Mit einem Blick auf die BWA, Umsatz, Kosten und Gewinn behält man einen guten Überblick.

In der Praxis­per­spek­tive kann der Abruf des Wochen­ho­no­rars hilfreich sein, um den Status quo im Bereich der Leis­tungs­er­brin­gung im Blick zu behalten.

Die detail­lier­teren Kenn­zahlen empfehlen wir quar­tals­weise zu prüfen, um ausrei­chend Trans­pa­renz zu erhalten und auch Gegen­maß­nahmen ergreifen zu können.

Wo findet man diese Kenn­zahlen und wie werden die richtigen Maßnahmen daraus abge­leitet?

Einige Infor­ma­tionen erhalten Praxis­in­ha­be­rinnen und ‑inhaber von ihrem Steu­er­be­rater in der BWA – Umsatz, Kosten und Gewinn.
Die Leis­tungs­sta­tis­tiken der Behand­le­rinnen und Behandler, z. B. die Hono­rar­zu­sam­men­set­zung, stellen die verschie­denen Praxis­soft­ware­an­bieter zur Verfügung.
Detail­lierte und indi­vi­dua­li­sierte Kenn­zahlen erstellen wir für unsere Mandan­tinnen und Mandanten – das ist Manu­fak­tur­ar­beit.

Wie aus Kenn­zahlen passende Maßnahmen abge­leitet werden, würde ich gern an einem Beispiel erklären:
Häufig haben wir Praxis­in­ha­be­rinnen und ‑inhaber in unserer Beratung, die von ihrem Steu­er­be­rater darauf hinge­wiesen werden, dass ihre Perso­nal­kosten zu hoch sind. Diese liegen dann meist über 28 % vom Umsatz.

Die erste daraus entste­hende Frage ist oft: Wen soll ich kündigen? Auf wen kann ich eigent­lich verzichten?
Die Frage, die wir uns jedoch zunächst stellen: Auf welcher Basis sind die Perso­nal­kosten zu hoch? Sind sie real zu hoch? Oder sind die Umsätze viel­leicht zu niedrig? Wie ist eigent­lich die Auslas­tung des Personals? Wie ist die Vergü­tungs­struktur in der Praxis geregelt?

Häufig stellen wir fest, dass die Aussage, die Perso­nal­kosten seien zu hoch, faktisch richtig ist, die Maßnahme – Redu­zie­rung der Perso­nal­kosten – jedoch nicht immer der logische Schritt ist. Nicht selten führt das Ausdünnen der Perso­nal­decke zu verrin­gerten Kapa­zi­täten, sodass sich auch der Umsatz rück­läufig entwi­ckeln kann. Dann haben wir im Folgejahr die gleiche Proble­matik…

Bei der Analyse einzelner Kenn­zahlen ist es also notwendig, immer mehrere Praxis­aspekte in die Bewertung einfließen zu lassen. Wichtig ist, das Unter­nehmen als Ganzes zu betrachten, und nicht auf Grundlage einer abwei­chenden Kennzahl in blinden Aktio­nismus zu verfallen. Denn ggf. stimmen die Preise einfach nicht, oder es wird nicht gut abge­rechnet. Viel­leicht fehlen auch Patienten. Dann schließt sich die Frage an: Welche Marke­ting­maß­nahme werden eigent­lich bemüht?

Kenn­zahlen bieten also insgesamt eine gute Orien­tie­rung, müssen aber immer im Kontext betrachtet werden. Wer seine Kenn­zahlen regel­mäßig überprüft, kann Fehl­ent­wick­lungen vorbeugen und zeitnah Gegen­maß­nahmen einleiten. Mit einem konti­nu­ier­li­chen Control­ling behalten Zahn­ärz­tinnen und Zahnärzte ihre Praxis­ent­wick­lung im Blick. So lassen sich Liqui­di­täts­eng­pässe vermeiden und Poten­ziale zur Umsatz­stei­ge­rung iden­ti­fi­zieren.

Lieber Michael Otto, vielen Dank für das Gespräch!